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   Das Kunst machen lief im Urlaub

Das Kunst machen lief im Urlaub

Linde Kauert ist bildende Künstlerin. Druckgrafik, Zeichnung, Malerei, Skulptur – sie beherrscht eine große Spannbreite künstlerischen Handwerks. Ihr Weg dahin war lang. Für sie war immer klar, nie etwas anderes als Kunst machen zu wollen. Linde Kauert lebt und arbeitet im Land Brandenburg. Gisela Zimmer sprach mit ihr.

Folgender Artikel erschien in der Monatszeitschrift »OXI – Wirtschaft anders denken« (06/2021), herausgegeben von der common Verlagsgenossenschaft e. G.,Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin

Lehrerin, Tischlerin, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Studium zur Kunstpsychotherapeutin. Und zwischendurch und mittendrin immer wieder Ausbildungen zur „wahren“ Kunst. Warum die Haken und Ösen?

Der Wunsch, Kunst zu machen, war immer da. Ich hatte ein Studium in Erfurt absolviert, war mit 22 Jahren Kunstpädagogin, wusste aber schon nach kurzer Zeit, dass ich das nicht will. Ich lernte dann Tischlerin, bekam ein Kind und bei einem Arbeitsunfall brach ich mir die linke Hand. Die Prognose fürs Zusammenwachsen war denkbar schlecht. Ein viertel Jahr war ich zuhause und hatte viel Zeit zum Zeichnen. Da war ich 27, 28 Jahre alt.

War das schon zu alt, um sich an der damaligen Hochschule der Künste in Ostberlin zu bewerben?

Ich habe mich beworben. Aber mir wurde gesagt, ich hätte schon eine eigene Handschrift, da könnten sie ja gar nichts mehr machen. Und ja, zu alt? Das haben sie mir nicht direkt gesagt, aber es lag unausgesprochen in der Luft. Das Kunststudium habe ich zunächst begraben und Klamotten genäht, damit Geld verdient. Im Prenzlauer Berg entdeckte ich dann einen Bildhauerzirkel, hatte das Glück, dass jemand abgesprungen war und ich durfte mitmachen. Auf dem zweiten Bildungsweg lernte ich plastisches Gestalten, Akt- und Porträtzeichnen, Figuren in Ton aufzubauen, in Gips abzugießen – alle handwerklichen Techniken. Das war toll, aber leider kein anerkanntes Studium. Das alles kurz nach der Wende. Ich wollte zwar unbedingt Bildhauerin werden, mir wurde auch bescheinigt, dass ich wirklich gut bin, aber zugetraut habe ich mir das nicht.

Warum nicht?

Du musst in dieser Branche schon aus dir selbst heraus sehr stark und durchsetzungsfähig sein. Ich wollte starten, aber rundherum wurde plötzlich alles anders. 1989/90 brach alles zusammen, meine Ehe kriselte, es lief schief, was nur schief laufen konnte. Ich fühlte mich wurzellos, konnte mir nicht vorstellen, eine Bildhauerwerkstatt aufzubauen.

Hatte das auch mit der Unsicherheit zu tun, überhaupt von der Kunst leben zu können?

Ich hatte keine Vorstellung, wie die wirtschaftliche und Vermarktungsstruktur läuft. Ich wusste nicht, wenn eine Figur fertig ist, wie ich die an den Mann oder die Frau bringen könnte. Ich wusste nur, dass ich das machen will. Was ich gebraucht hätte, wäre mehr Luft und Zeit und weniger Alltagssorgen. Und vom Selbstbewusstsein her war ich damals auch noch nicht so weit.

Wovon haben Sie denn gelebt?

Manchmal denke ich, dass wir damals nicht verhungert sind, grenzt an ein Wunder. Ich hatte zwar den Abschluss in der Tasche, aber ich kannte mich noch lange nicht in der Kunstszene aus. Es war nur die unbändige Lust da, Kunst zu machen, gleichzeitig aber auch das Wissen, ich muss Geld verdienen, für mein Kind sorgen. Ein Jahr lang war ich Mädchen für alles in einer Tischlerei, danach habe ich eine Holzwerkstatt geleitet. Und welch ein Zufall: Im Netzwerk Spielkultur* kriegte ich eine Festanstellung. Ich bin da hin, irgendeine himmlische Kraft ließ mich sagen: Ich bin Linde Kauert, kann zeichnen, hab‘ Tischler gelernt und habe eine pädagogische Ausbildung. Könnt ihr mich gebrauchen? Das Büro war voller Leute, alle lachten, sie wollten noch wissen, ob ich eine Fahrerlaubnis hätte. Damit war mein Einkommen gesichert, für mich und meine Tochter, und ich konnte meine künstlerischen Fähigkeiten dort super einbringen.

Und das eigene Kunst machen?

Ich habe weiter Fortbildungen besucht. Schauspielkurse, kreatives Schreiben, Bühnenbilder gemalt, und immer wieder gezeichnet. Ein richtiger Knoten platze bei einem Spielmobiltreffen** in Coventry. Wenn die anderen beisammen saßen und redeten, zeichnete ich sie. Ganz frei, das floss alles aus mir heraus, ich war wie elektrisiert. Und von da an habe ich in jeder freien Minute gezeichnet. Außerdem jede Woche zwei Mal abends nach Feierabend ein Weiterbildungsstudium an der Hochschule der Künste absolviert.

Ist das eigentlich ein Tabu unter Künstlerinnen und Künstler, darüber zu reden, den eigentlichen Lebensunterhalt mehr oder weniger über Nebenjobs zu verdienen?

Manche können gut von ihrer Kunst leben, weil sie gut verkaufen. Aber dieses regelmäßige Verkaufen ist schwierig. Ich konnte einiges verkaufen. Eine Zeitlang funktionierte das auch gut mit der Edition Zwiefach, da haben wir unsere schönen Bücher verkauft. Aber die Haupteinnahmen waren tatsächlich immer diese Honorarjobs. Meine eigene Kunst lief im Urlaub. Zum Beispiel bin ich vier Jahre lang nach Marburg gefahren, jeweils für drei Wochen zur Sommerakademie. In einem Mädchentreff konnte ich Kurse für kreatives Malen für Mädchen und junge Frauen geben. Trotzdem, meine Kunst musste ich hinten anstellen. Ich studierte dann noch Kunsttherapie. Das hat mir sofort gefallen. Ein berufsbegleitendes Studium, drei Jahre lang. In der Zeit musste ich mich um kein Geld kümmern, weil ich eine einmalige modifizierte Abfindung für meine zuvor feste Stelle erhielt. Endlich hatte ich Zeit für künstlerisches Arbeiten. Am Ende war ich dann Kunstpsychotherapeutin, dachte, das kannst du ewig machen. Aber als ich 2004 fertig war, hatten die Kliniken sämtliche Stellen abgewickelt. Von einem Tag auf den anderen war ich Sozialhilfeempfängerin. Das war so bitter.

Wie sind Sie da rausgekommen?

Das letzte Angebot vom Jobcenter war, ich sollte Hilfsnäherin werden. Das reichte dann endgültig. Aber manchmal lernt man zur richtigen Zeit die richtigen Leute kennen. In mein Leben lief der Buchgestalter und Typograf Heinz Hellmis. Mit ihm zusammen gründete ich den Künstlerverlag Edition Zwiefach. Das war 2007. Ich machte mich selbständig, erhielt vom Jobcenter ganze 500 Euro dafür, eine Einmalzahlung. Mein eigentliches Glück war, dass das frühere gemeinsame Haus mit meinem Ex-Mann zwangsversteigert wurde. Aus dem Erlös bekam ich 15.000 Euro. Die habe ich voll in den Verlag gebuttert. Wir haben schön gestaltete Bücher hergestellt, in die meine Bilder zur Literatur flossen. Das war eine sehr arbeitsreiche, schöne Zeit. Bis Heinz Hellmis 2014 starb.

Und jetzt?

Ich bin jetzt gerade 68 geworden und habe endlich die Traute, zu sagen, ich bin Künstlerin und es gibt auch nichts anderes mehr. Was klar ist, man muss wissen, was man kann und möchte. Und wenn du Geld haben willst, musst du dich kümmern, woher du es kriegst. Was andere Künstler viel früher gemacht haben, da steige ich jetzt ein, schaue mich nach Förderprinzipien und -geldern um. Na ja, und dass ich noch einmal heiraten würde, das war auch nicht vorgesehen. Plötzlich kommt da jemand und rüttelt an allen Ecken und Enden. Mittlerweile finde ich das toll, ich muss mich um keine Miete, keine Heizung, keinen Strom kümmern. Trotzdem übernehme ich in diesem neuen kleinen Familiensystem natürlich viele Aufgaben.

Also endlich keine Existenzängste mehr, dazu der Mut, nur noch als Künstlerin zu arbeiten. Und dann macht aber die gesamte Kunst- und Kulturszene dicht. Mit welchen Folgen für Sie?

Die Kunstmesse in Ahrenshoop wurde schon das zweite Mal verschoben. Die Ausstellung in der GEDOK-Galerie in Rangsdorf wurde Ende Oktober 2020 eröffnet. Das war ein Sonntag, und am Montag danach wurde sie geschlossen. Keine Besucher. In dieser Ausstellung sind drei Radierungen von mir. An denen habe ich hart gearbeitet, das ist wirklich eine sehr schwierige Technik. Zur Zeit schreibe ich an einem Ausstellungskonzept, damit will ich mich in Galerien bewerben. Aber die haben mit der Pandemie natürlich schon so viele Künstler auf ihren Wartelisten, die erst nach und nach abgearbeitet werden. Dann wurde auch der Tag der Offenen Ateliers verschoben. Er soll nun am 22. August stattfinden, aber ob da jemand etwas kauft?

*  Der Verein Netzwerk Spiel/Kultur Prenzlauer Berg e.V. hat seine Wurzeln in der Spielwagenbewegung Ostberlins. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurde Netzwerk Spiel/Kultur zum gemeinnützigen anerkannten freien Träger der Jugendhilfe und damit zum Dach unterschiedlichster Projekte und Einrichtungen. Die Grundhaltung, aus der die Mitarbeiter ihre Antriebsenergie beziehen und bezogen ist und war: die Kinder ernst zu nehmen immer verbunden mit der Vision, dadurch die Welt zu verbessern.

**  Eines der Projekte von Netzwerk Spiel/Kultur Prenzlauer Berg war das Spielmobil, in dem ich eine Anstellung fand. Das Spielmobil selbst war ein Robur Kastenwagen LO, kurz Ello genannt, in dem wir diverse Großraumspielgeräte transportierten und damit die Spielplätze des Prenzlauer Berges bespielten. 1991 wurde unser Spielmobil zu einem internationalen Spielmobiltreffen nach Coventry eingeladen.