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   Roter Faden

Von roten Lippen und roten Fäden

Roter Faden I
Roter Faden I
Roter Faden II
Roter Faden II
Roter Faden III
Roter Faden III

Linde Kauert, eine erfahrene Malerin, die in Ausübung ihrer jahrelangen künstlerischen Praxis zu einer Meisterin des Kolorits und des Farbenrauschens geworden ist, hat erst vor vier Jahren begonnen, sich mit der Radierung ein neues Arbeitsfeld zu erobern, das völlig andere Gestaltungsaufgaben an ihre kreative Fantasie stellt. Einen Pinsel in weiche Farbe zu tauchen und auf einer nachgiebigen textilen Oberfläche zu verstreichen, bietet der Künstlerinnenhand ganz anders strukturierte physische Bedingungen, als sich in eine harte Metallplatte hinein zu graben oder flächig hinein zu ätzen und dabei immer im Blick zu haben, dass der Druck »die Seiten wechselt« und die Motive auf dem Papierträger gespiegelt erscheinen. Darüber hinaus hängt die Intensität der Druckfarbe nicht nur von ihrer Konsistenz und der Papierqualität ab, sondern auch von der Beschaffenheit der von der Künstlerin bearbeiteten Druckplattenoberfläche.

Lässt sich bei der Malerei das Entstehen des Bildes unmittelbar durch den Gestaltungsprozess, durch Mischungen, Schichtungen und Übermalungen mit Auge und Hand kontrollieren und zu einem mehr oder weniger geplanten Ergebnis führen, wirken beim Herstellen einer Druckplatte für den Tiefdruck, so wie Kauert ihn praktiziert, nicht vollständig kontrollierbare Prozesse und beeinflussen die Erscheinung des Bildes, insbesondere wenn der Druckvorgang durch mehrere Arbeitsgänge hindurch geführt wird. Das Ergebnis ist also immer eine Melange aus geplanten Aktionen und zufälligen, durch das Zusammenwirken von Handlung und Materialbedingungen sich ergebenden Bildschöpfungen.

Bei Kauert entstehen dabei ebenso überraschende wie überzeugende Spannungsmomente, wenn sie ihre Bildideen mit ihrem einsamen oder interagierenden Personal in die Fläche der Druckplatte setzt. Auch in manchen ihrer malerischen Arbeiten sind die Figuren oft im Kampf der Lineaturen gefangen, in den grafischen Arbeiten verbreitern sich die linearen Konturen zu bandartigen Elementen und treten in einen Dialog mit den flächigen Strukturen. Bei »Roter Faden I« scheinen sie geradezu verstrickt in eine dichte rote Bänderstruktur vor schwarzem Hintergrund, aus der das weiße Frauengesicht mit kaum wahrnehmbarem Schmunzeln hervorleuchtet.

Die eigenständigen, bandartigen Elemente begrenzen nicht nur eine Form, sondern werden zu prägenden Akteuren im Bildraum oder sogar wie bei „Roter Faden III“ und »Roter Faden II« zum Thema des Bildes. Der »rote Faden« als Sinn gebendes Zeichen, das Verschiedenes verbindet und Unterschiedliches in einen Kontext stellt, umschlingt in einem Bild (R.F.III) das aufeinander bezogene Paar und die aus dem Bild schauende Frau, im anderen Bild (R.F.II) formt es eine Trennfläche zwischen dem Paar und dem Profil des vom linken Bildrand hineinschauenden Betrachters. In beiden Blättern strukturiert der »Faden« die Bildfläche in vibrierend-aktive und stille Zonen.

»Mit Hand und Fuß« illustriert ein weiteres Beispiel aus Linde Kauerts ambivalentem Themenspektrum. Der Titel suggeriert Stärke, Stabilität und Verlässlichkeit, aber zu sehen ist eine Figur mit einem zwar kraftvoll erscheinenden Rumpf, deren Gliedmaßen sich verschmalend dem Bildrand zustreben und ihre Grenzen überwinden zu wollen scheinen. Fuß- und Fingerspitzen befinden sich schon außerhalb des Bildfeldes im Ungewissen.

 

Berlin, im Januar 2021 / Dr. Brigitte Hammer